Wer Menschen helfen will, schaut nicht erst im Gesetzbuch nach

Mari Fritschi und Jürgen Exner – Foto: Unicef

BZ-SERIE mit Interviews zu den Menschen- und Kinderrechten: Pastor Jürgen Exner über Artikel 14*), dem Recht auf Asyl.

LÖRRACH (BZ). Was bedeuten die Menschen- und Kinderrechte? Das Junior-Team und die Hochschulgruppe von Unicef haben Menschen in Lörrach befragt. Mari Fritschi hat sich mit Pastor Jürgen Exner vom Freundeskreis Asyl über Artikel 14 unterhalten, das Recht auf Asyl.

BZ: Der Freundeskreis Asyl hat sich zur Aufgabe gemacht, geflüchtete Menschen mit Wohlwollen zu empfangen und zu begleiten. Denken Sie, Artikel 14, Recht auf Asyl, braucht die Mitwirkung der Zivilgesellschaft?

Exner: Wer Menschen helfen will, schaut nicht erst im Gesetzbuch nach. Die Auslegung der Gesetze und deren Umsetzung in politische und behördliche Maßnahmen obliegt der Politik und der Verwaltung. Aber als Bürger bewegen wir durch unser Tun die Politiker, dass das auch geschieht. Wenn den Bürgern die Werte egal sind, werden sie auch in der Politik immer weniger Beachtung finden.

BZ: Lörrach und nicht nur Lörrach, sondern die ganze Welt ist ständiger Bewegung und Veränderung ausgesetzt. Wann macht Veränderung Angst?

Exner: Das liegt meiner Meinung nach in der Natur der Sache, in der Natur des Menschen. Leider wird das Stichwort Angst oft als rhetorisches Stilmittel verwendet, um Personen oder Überzeugungen abzuwerten. Jeder hat manchmal Angst und sollte sie auch haben. Denn sie warnt vor Gefahren und aktiviert, etwas zu tun. Mir ist wichtig, wie wir mit Ängsten umgehen. Es gibt Situationen, in denen muss ich tapfer sein und Angst aushalten und manchmal überwinden. Jeder hat sein eigenes Maß, kann aber auch lernen, seine Grenzen auszudehnen.

BZ: Ist es durch den Zuzug der Geflüchteten zu einer Veränderung unserer christlich geprägten Kultur gekommen?

Exner: Manch einer wollte vermeintlich das christliche Abendland vor dem Islam retten und dann kam raus, dass er selber den christlichen Glauben gar nicht kennt. Wenn es dazu dient, dass wir wieder intensiver über unsere christlichen Wurzeln nachdenken, umso besser. Ein wesentlicher Aspekt der christlichen Kultur ist die Liebe zu Menschen, insbesondere zu denen, die Hilfe benötigen – zum Beispiel Arme, Kranke oder Fremde.

BZ: Gab es nicht schon immer Vermischung von Kulturen und gibt es Beispiele, dass diese friedlich abliefen?

Exner: Ja, es gab in der Geschichte schon immer die Vermischung von Kulturen. Wenn etwas Neues kommt, sehen es die einen als Bereicherung, die anderen als Bedrohung des Bisherigen. Der Wind der Veränderung lässt die einen Windräder, die anderen Mauern bauen. Das geschieht innerhalb einer Kultur, sogar innerhalb einer Familie und natürlich auch weltweit. Als Christ kenne ich eine Ebene darüber. Eine Art Jesus-Kultur, die Menschen über alle nationalen Kulturgrenzen hinweg verbindet.

BZ: Bedeutet Veränderung zu einer mehr und mehr multiethnischen Gesellschaft eine Gefahr für den Frieden?

Exner: Das sollte eigentlich nicht so sein. Denn an oberster Stelle steht der Mensch, unabhängig seiner Ethnie. Aber richtig einschätzen kann ich das nicht. Da spielen noch so viele andere Faktoren eine Rolle. Man kann aber beobachten, dass das Gegenteil, die monoethnische Gesellschaft sehr wohl eine Gefahr für den Frieden ist. Beispiele sind der Faschismus und Nordkorea.

BZ: Wo sehen Sie die Chancen der multiethnischen Gesellschaft?

Exner: In meiner Kirchengemeinde sind Menschen aus circa 20 Nationen. Ich mag es, finde es interessant und erlebe es als einen großen Segen und eine wichtige Bereicherung. Allerdings habe ich bisher auch fast nur gute Erfahrungen gemacht.

BZ: Wie kann jeder Einzelne sich für Frieden einsetzen?

Exner: Indem er in seinem eigenen Leben Frieden sucht. Zunächst mit sich, seiner Familie und dann mit Gott. Friedensstifter zu sein, ist ein lebenslanger Lernprozess. Das mag sich nach viel Arbeit und Selbstüberwindung anhören. Es bedeutet aber vor allem Lebensqualität und Tiefgang.

BZ: Freiheit ist ein wichtiges Gut, Kenntnis und Befolgung von Menschenrechten auch. Was kann man tun, um Menschen für das Eintreten von Menschenrechten zu gewinnen?

Exner: Das hat viel mit Bildung, gerade auch der Persönlichkeitsbildung zu tun. Jugendliche, die in einer sozialen Gruppe, einer Kirchengemeinde oder einem Sportverein aufwachsen, sind hier schon auf einem guten Weg. Wer das alles nicht erleben darf, wird vielleicht zu stark von Werbung, Computerspielen und YouTube-Clips geprägt. Aber es gibt noch immer viele Initiativen, die dagegenhalten.

BZ: Sehen Sie in einem Menschenrechtsweg einen Schritt hin zu mehr Menschenrechtskultur in einer Stadt?

Exner: Das finde ich sehr interessant und halte es für einen guten pädagogischen Beitrag. Diesen Weg würde ich dann auch gerne entlanggehen wollen.

BZ: Haben Sie andere oder weiterführende Ideen, um Menschen zu motivieren, sich für das Selbstverständnis und die Selbstverpflichtung einer Gesellschaft hin zu mehr Toleranz, Freiheit, Demokratie und Frieden einzusetzen?

Exner: Ja, den Mut nicht verlieren und einfach weiter machen, auch wenn es Rückschläge und Enttäuschungen geben sollte. Wir folgen unseren Überzeugungen. Die haben auch dann ihre Gültigkeit, wenn wir wenig Zuspruch erhalten.

Jürgen Exner (56) ist Pastor der Baptisten-Gemeinde Lörrach.

(Badische Zeitung vom 10.07.2018)


*) Anmerkung: UN-Menschenrechtscharta Artikel 14

(1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.

(2) Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.